Apfelzukunft dank Züchtung

Mit dem neuen Projekt «Apfelzukunft dank Züchtung», kurz AZZ, rüstet sich die Schweizer Apfelzüchtung für die Zukunft und will eine effiziente Sortenentwicklung weiter voranbringen. Das Projekt wird im Rahmen der «Finanzhilfen für Projekte zur Förderung der Pflanzenzüchtung und Sortenprüfung» durch das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) finanziert.


Autor_Broggini Giovanni
Giovanni Broggini
ETH Zürich

Michaela Jung und Bruno Studer, ETH, Zürich
Moritz Köhle und Markus Kobelt, Lubera, Buchs
Niklaus Bolliger, Poma Culta, Hessigkofen
Beat Keller, Simone Bühlmann-Schütz, Andreas Bühlmann, Andrea Knauf, Marius Hodel, Markus Kellerhals und Andrea Patocchi, Agroscope, Wädenswil


Ein Apfel soll fein schmecken, makellos aussehen und möglichst nachhaltig produziert worden sein. Die Anforderungen der Konsumenten und Produzenten bezüglich Geschmack, Erscheinung und Lagerfähigkeit sowie dem umweltschonenden Anbau sind in den letzten Jahren gestiegen.

Der Apfel gehört im konventionellen und biologischen Anbau zu den Kulturen mit dem höchsten Einsatz an Pflanzenschutzmitteln (PSM) pro Flächeneinheit. Effiziente Züchtung von ­Sorten mit umfassender Resistenz gegen Krankheiten und Schädlinge ist eine zentrale Grundlage für agrarökologisch hochwertige Anbausysteme, die eine Reduktion des Einsatzes von PSM ermöglichen. Krankheits- und schädlingsresistente Sorten setzten sich bisher am Markt jedoch kaum durch. Oft wird ein Defizit punkto Fruchtqualität bemängelt. Für eine nachhaltige Zukunft und Erfolg im Konsum müssen die neuen resistenten Sorten qualitativ hochwertiger sein.

Aufwendige Apfelzüchtung

Apfelzüchtung ist ein zeitaufwendiger Prozess, der rund zwei Jahrzehnte von der eigentlichen Kreuzung bis zur Sorteneinführung ­dauert. Dazu kommt, dass statistisch gesehen nur einer aus ca. 50 000 Sämlingen, so werden die Kreuzungsnachkommen bezeichnet, zu einer Sorte wird. Die Anzahl Sämlinge, die selektiert werden, reduziert sich von Jahr zu Jahr, während die Anzahl Bäume pro ­Neuzüchtung im Zuchtgarten stetig zunimmt. Erste Früchte werden in der sogenannten Stufe 1 (ein Baum pro Nachkommen) etwa vier bis sechs Jahre nach der Kreuzung erwartet. Nur ungefähr sechs bis sieben Prozent der ausgesäten und gekeimten Sämlinge erreichen diese Stufe. Ohne jegliche Vorhersage über Fruchtqualität bei ­dieser Selektion können wertvolle Sämlinge verloren gehen.

Genomische Selektion – Zuchtwertschätzungen für die Fruchtqualität

Die Anwendung statistischer Modelle zur Vorhersage eines Merkmals (Phänotyp) bei Kreuzungsnachkommen wird auch Zuchtwertschätzung genannt. Unter der Bezeichnung genomische Selektion (GS) wird sie in der Züchtung vermehrt angewendet und zeigte bisher ihre grössten Erfolge in der Tierzüchtung. Die GS ermöglicht die Vorhersage von komplexen quantitativen Eigenschaften, die von vielen Genen bestimmt werden, wie z. B. die Fruchtqualität. Die GS für Fruchteigenschaften in Züchtungsprogrammen, die bisher auf die Züchtung von resistenten Sorten fokussierten, ermöglicht eine frühe Selektion von Nachkommen mit erhöhter Fruchtqualität unter den resistenten Nachkommen. Nur diese werden dann im Feld weiter geprüft. Somit gelangen nur Neuzüchtungen ins Feld, die sowohl resistent sind als auch potenziell eine hohe Frucht­qualität aufweisen. Diese Vorselektion ermöglicht einen ressourceneffizienteren Züchtungsprozess und erhöht die Chancen, marktfähige Sorten zu entwickeln.

Für die GS wird das Zuchtmaterial genetisch charakterisiert, d. h. genomweit mit einer hohen Dichte an molekularen Markern ­genotypisiert sowie phänotypisch möglichst genau beschrieben. Die erhobenen genotypischen und phänotypischen Daten werden verwendet, um Vorhersagemodelle zu entwickeln. Diese Modelle erlauben die Schätzung des Zuchtwerts von Neuzüchtungen ­aufgrund ihrer genetischen Daten. Diese Methode wird nun im Rahmen des Projekts AZZ beim Apfel zuerst validiert und dann ein­gesetzt, um ihre Anwendung in den privaten (Lubera, Poma ­Culta) und öffentlichen (Agroscope) Apfel-Züchtungsprogrammen der Schweiz zu ermöglichen.

«Fast Track» für die Einkreuzung von Resistenzen

Die Einkreuzung von bekannten Resistenzen aus Wildäpfeln er­fordert ca. fünf (Pseudo-) Rückkreuzungen mit Qualitätsorten, um die mitvererbten schlechten Eigenschaften des Wildapfels zu ­eliminieren. Bei einer Generationszeit von vier bis sechs Jahren im Feld braucht die klassische Züchtung dafür 25 bis 30 Jahre. Dank «Fast Track» kann diese Zeit auf 12 bis 15 Jahre verkürzt werden. Die «Fast Track»-Methode wurde im Rahmen von Drittmittel­projekten zur Einkreuzung von Feuerbrandresistenzen aus Wild­äpfeln bei Agroscope entwickelt. Sie reduziert die Zeit von der Kreuzung bis zur ersten Blüte (juvenile Phase) von vier bis sechs Jahren im Feld auf ungefähr 2.5 Jahre dank gezielter Kulturführung im Gewächshaus und künstlicher Winterruhe ohne den Einsatz von Gentechnik. Mehrere Nachkommen mit Feuerbrandresistenzen aus Wildäpfeln sind in der fünften oder bereits sechsten Generation vorhanden. Bei vielen Nachkommen wird die jeweilige Feuerbrandresistenz bereits mit weiteren Resistenzen gegen die Pilzkrank­heiten Mehltau und Schorf kombiniert. Der Einbezug weiterer ­Resistenzquellen ist jederzeit möglich.

Im Rahmen des AZZ-Projekts wird die molekulare Selektion für den Nachweis der Resistenzgene dank markergestützter Selektion (MAS) mit der GS für die Fruchtqualitätseigenschaften im «Fast Track» ergänzt. Diese von der Praxis dringend benötigten resistenten Sorten mit guter Fruchtqualität werden dank der optimierten «Fast Track»-Züchtung noch schneller zur Verfügung stehen und sind sowohl für den konventionellen wie auch für den biologischen Anbau geeignet (Abb. 1).

 

Abb. 1: Apfelbäume der «Fast Track»-Methode.

 

Resistenzen gegen Lentizellenfäule

Die durch den Pilz Neofabraea spp. verursachte Lentizellenfäule (Abb. 2) ist eine der wichtigsten Lagerkrankheiten des Apfels in Westeuropa, die vor allem im biologischen Anbau bis zu 30 % ­Verluste an gelagerten Äpfeln verursacht. Im Gegensatz zu Graufäule (Botrytis cinerea) und Penicillium-Fäule (P. expansum), die für eine Infektion bereits beschädigte Früchte benötigen, kann ­Neofabraea spp. über intakte Lentizellen ansonsten gesunde Äpfel infizieren. Die Anfälligkeit auf diese Krankheit variiert bei bekannten Apfelsorten sehr stark, jedoch sind bis jetzt noch keine genetischen Resistenzfaktoren bekannt. Durch künstliche Inokulation einer grossen Vielfalt an Sorten und Neuzüchtungen soll der ­Unterschied in der Anfälligkeit untersucht und die zugrundeliegende Genetik für die Züchtung nutzbar gemacht werden. Der dazu verwendete Ansatz ist die Verbindung der genotypischen und phänotypischen Daten in einer Assoziationsstudie. Mittels statistischer Methoden werden genetische Marker, die mit der Resistenz assoziiert sind, identifiziert. Dies wird im Fall einer gefundenen Assoziation die Anwendung von MAS für dieses Merkmal im Züchtungsprozess ermöglichen. Damit wird der Aufwand für die Prüfung ­einer neuen Züchtung auf die Anfälligkeit gegenüber dieser Krankheit erheblich reduziert. Zurzeit muss diese Anfälligkeit auf Lentizellenfäule in mehrjährigen Lagerversuchen getestet werden, die arbeits- und ressourcenintensiv sind. Zusätzlich ermöglicht die Ermittlung der Lentizellenfäule-Anfälligkeit bzw. -Robustheit bei fortgeschrittenem Zuchtmaterial der involvierten Züchtungsprogramme eine zielgerichtete Auswahl von Elternsorten mit höherem Resistenzlevel für künftige Kreuzungen.

 

Abb. 2: Apfel infiziert mit dem Pilz Neofabraea spp. (Lentizellenfäule).

Zusammenarbeit aufgegleist

Das AZZ-Projekt wird in Zusammenarbeit mit privaten und öffentlichen Institutionen vorangetrieben. Das Team rund um die Professur von Bruno Studer für Molekulare Pflanzenzüchtung an der ETH Zürich erarbeitet in Zusammenarbeit mit Agroscope (Forschungsgruppe Züchtungsforschung) und dank dem Apfel REFPOP-­Konsortium die genetischen Modelle zur Zuchtwertschätzung von Fruchteigenschaften. Dafür unterhält Agroscope seit 2016 eine ­Apfel Referenzpopulation (REFPOP) als Obstanlage. Die REFPOP umfasst ein umfangreiches Set von «Apfelsorten» (271 alte europäische Sorten und 265 Nachkommen aus 27 unterschiedlichen Kreuzungen). Die REFPOP wird für die Etablierung der GS ­verwendet. Innerhalb eines internationalen Konsortiums wird die REFPOP neben Wädenswil zusätzlich an fünf Standorten angebaut: in Italien (Laimburg, Auer), Spanien (IRTA, Lleida), Frankreich (­INRAe, Angers), Polen (INHORT, Skierniewice) und Belgien (Better3fruit, Rillaar). Agroscope betreibt eines der weltweit ältesten Apfelzüchtungsprogramme, das seit 1985 die Resistenz und Robustheit gegen Krankheiten stark gewichtet. Das Programm hat in Kooperation mit der ETH Zürich als Pionier die MAS früh eingeführt und speziell zur Entwicklung von Neuzüchtungen mit ­pyramidisierter Krankheitsresistenz eingesetzt.

Von privater Seite sind die Züchtungsprogramme von Lubera und Poma Culta am Projekt beteiligt. Der Einbezug aller Schweizer Apfelzüchtungsprogramme erlaubt es, die Vorteile der GS und MAS auf breiter Front zu nutzen. Die Züchtungsprogramme werden zusätzliches Pflanzenmaterial für das Projekt zur Verfügung ­stellen. Am Material werden auch Zuchtwertschätzungen ausgeführt, was die Züchter bei der Selektion von geeigneten Sorten unterstützt. Die Lubera AG in Buchs (SG) produziert Obst- und Beerenpflanzen vor allem für den Hausgartenbereich. Lubera züchtet neue Sorten, und zwar in einem breiten Portefeuille von der Stachelbeere bis zum Apfel. Poma Culta ist ein gemeinnütziger Verein mit dem Zweck, die Forschung im Bereich des biologisch-dynamischen Obstbaus zu fördern. Er besitzt und betreibt am Standort Hessigkofen eine Zuchtstation für on-farm Kernobstzüchtung.

Rosige Zukunftsaussichten

Die Entwicklung von resistenten Sorten mit guten Produktions-, ­Lager- und Fruchtqualitätseigenschaften hat grosses Potenzial für die Schweizer Apfelzüchtungsprogramme und demzufolge für die ganze Wertschöpfungskette bis hin zu den Konsumenten. Die ­angestrebte Resistenz wird eine nachhaltigere Produktion und ­eine Reduktion des Einsatzes von PSM ermöglichen. Die Verluste durch Lagerkrankheiten können dank robusten Sorten reduziert werden.

Mithilfe der entwickelten molekularen Marker können ­tausende von Sämlingen sehr einfach auf unterschiedliche Resistenzkombinationen geprüft werden. Dank der GS werden nur Nachkommen mit erhöhter Fruchtqualität in die nächste Selektionsstufe weitergenommen, was zu Effizienzgewinnen führen wird. Die Entwicklung von Sorten, die die hohen Erwartungen der Produzenten und ­Konsumenten erfüllen, kann somit gezielt vorangetrieben werden. Mit dem Ziel, dass wir auch in Zukunft geschmackvolle und nachhaltig produzierte Äpfel geniessen können.

AZZ in Kürze

Giovanni Broggini von der ETH Zürich leitet das Projekt, das in ­Zusammenarbeit mit Agroscope und den privaten Züchtungs­programmen Poma Culta und Lubera realisiert wird. Es gliedert sich in folgende Teilprojekte:

 

  • Anwendung der genomischen Selektion in den Schweizer ­Apfelzüchtungsprogrammen
  • Kombination von «Fast Track»-Züchtung mit genomischer ­Selektion für Fruchtqualität
  • Robustheit gegen die Lagerkrankheit Lentizellenfäule (Neofabraea spp.)


Im Projekt «Apfelzukunft dank Züchtung» (AZZ) wird die genomische Selektion (GS) basierend auf genetischer Zuchtwertschätzung für Fruchteigenschaften in den  aktuellen öffentlichen und privaten Apfelzüchtungsprogrammen von Agroscope, Lubera und Poma Culta angewendet. Die GS erlaubt, gezielt auf Nachkommen mit guter Fruchtqualität zu fokussieren. Die etablierte «Fast Track»-Methode ermöglicht eine Generationsbeschleunigung zur schnellen Einkreuzung und Kombination von Resistenzgenen ausgehend von kleinfruchtigen Wildäpfeln. Dank GS kann damit dauerhafte Resistenz mit guten Fruchteigenschaften rasch kombiniert werden. Durch Resistenztests für die wichtige Lagerkrankheit Lentizellenfäule, verursacht durch Neofabraea spp., werden mögliche Resistenzquellen ermittelt und diese für die Züchtung nutzbar gemacht. Durch diese transdisziplinären Ansätze werden Ressourcen effizient und zielführend angewendet, Synergien genutzt und die Apfelzüchtung in der Schweiz als Ganzes gestärkt.


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