Neues Wissen dank alten Apfelsorten – die Schweizer Apfel-Kernsammlung

Die Erhaltung, Beschreibung und Nutzung von genetischen Ressourcen ist wichtig zur Sicherung einer zukunftsorientierten Pflan­zenzüchtung. Die Schweizer Apfel-Kernsammlung, nicht zu verwechseln mit einer Apfelkern-Sammlung, besteht aus 330 alten Schweizer Apfelsorten sowie 28 Referenzsorten und wurde an drei unterschiedlichen Standorten in der Schweiz gepflanzt.


Autor_Broggini Giovanni
Giovanni Broggini
ETH Zürich

Laura Kuonen und Bruno Studer, ETH Zürich
Markus Hardegger, Bundesamt für Landwirtschaft (BLW)


Baum-, Frucht- und Resistenz- oder Toleranzeigenschaften werden während sechs Jahren in Parzellen an drei Standorten erhoben. Kombiniert mit hochauflösenden Erbgutprofilen aller Sorten erlauben die erhobenen Daten die Identifikation von genomischen ­Regionen, die mit interessanten Eigenschaften gemeinsam vererbt werden. Der Einbezug dieses Wissens in der Apfelzüchtung wird die Entwicklung von vielfältigen, robusten und resilienten Sorten weiter voranbringen.

Nationaler Aktionsplan

Pflanzengenetische Ressourcen sind für die Welternährungs­sicherheit entscheidend. Um die Grundlagen hierfür zu erstellen, wurden der Globale Aktionsplan (GAP) und der darauf basierende Nationale Aktionsplan zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der pflanzengenetischen Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (NAP-PGREL) geschaffen. Die Nationale Genbank der Schweiz dient der Erhaltung von PGREL. Sie umfasst die Samenbank von Agroscope in Changins für samenvermehrbare Arten wie auch die über die ganze Schweiz verteilten ex situ Primär- und ­Duplikatsammlungen vegetativ vermehrter Arten wie Obst- und Reben, die von verschiedenen Organisationen betreut werden. Die nachhaltige Nutzung und die Erhaltung durch Nutzung sind nur ­erfolgreich, wenn die Eigenschaften und der Wert einer genetischen Ressource bekannt sind und diese am Markt erfolgreich ­positioniert werden kann.

Züchtung und genetische Ressourcen

In der Apfelproduktion, in der die Vielfalt der kommerziell erfolg­reichen Sorten gering ist, ist eine Verbreiterung der genetischen Basis erwünscht (Kellerhals et al. 2018). Der Kulturapfel muss an neue Herausforderungen wie klimatische Veränderungen oder das Auftreten von neuen Krankheiten und Schädlingen angepasst werden. Die Züchtung beim Apfel ist erschwert durch verschiedene biologische Gegebenheiten. Die durch Selbstinkompatibilität ­erzwungene Fremdbefruchtung führt zu zufälligen Kombinationen von Eigenschaften in den Nachkommen einer Kreuzung. Selbst­befruchtung wie z. B. bei Getreide ist kaum möglich. Ausserdem produzieren Apfelsämlinge ihre ersten Blüten und Früchte erst nach mehreren Jahren. Pflanzengenetische Ressourcen können ­direkt als Eltern für Kreuzungen in Züchtungsprogramme einbe­zogen oder für wissenschaftliche Studien genutzt werden, um züchtungsrelevantes Wissen zu erhalten. Die Erhaltung und ­Beschreibung von solchen Ressourcen sind von grosser Wichtigkeit für zukunftsorientierte und effiziente Züchtungsprogramme. Kellerhals et al. 2021 stellten die züchterische Nutzung von Apfelgenressourcen dar und zeigten auf, dass eine umfassende ­Beschreibung und Evaluation notwendig sind, um geeignete Kreuzungseltern ausfindig zu machen. Denn oft sind gewisse Frucht- und Baumeigenschaften auf einem tieferen Niveau, verglichen mit heutigen kommerziellen Sorten. Das liegt teilweise darin begründet, dass viele alte Sorten nicht primär als Tafelfrucht, sondern eher zur Verarbeitung genutzt wurden.

Kernsammlung

Erhaltungssammlungen alter Obstsorten stellen ein wertvolles ­Reservoir an genetischer Vielfalt dar und die Beschreibung der Schweizer Obstgenressourcen im Rahmen des NAP-PGREL hat in den letzten Jahren erfreuliche Fortschritte gemacht (Gassmann und Andreoli 2016). Kernsammlungen stellen die kompakteste Form der Vielfalt einer Kulturart dar. Die Auswahl von Sorten für ­eine Kernsammlung soll einerseits die genetische und phäno­typische Vielfalt wiedergeben, kann anderseits auch Sorten von öffentlichem Interesse berücksichtigen (Urrestarazu et al. 2019). Neben der Erhaltung dient eine Kernsammlung primär der ­Beschreibung der genetischen Vielfalt und somit der Identifikation von sortenspezifischen Eigenschaften, die von der Züchtung ef­fizient und gezielt genutzt werden können. In der Schweiz wurden etwa 3125 Schweizer Apfelakzessionen/Landsorten/Sorten ­gesammelt. Mit molekularen Markern wurden viele Duplikate mit unterschiedlichen Namen oder Herkunft identifiziert (Bühlmann et al. 2015). Verwandtschaftsanalysen wurden verwendet, um die ­verbleibenden 1324 einzelnen Sorten in 330 Gruppen einzuordnen und aus jeder Gruppe ein repräsentatives Individuum für die Apfel-Kernsammlung auszuwählen. Zusätzlich wurden etwa 28 weitere Sorten und Akzessionen aus dem Agroscope Züchtungsprogramm als Referenz bestimmt. Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) beauftragte die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) mit der Sammlung des entsprechendes Pfropfmaterials, der Produktion von neuen Bäumen und der Verteilung an die Sammlungsbetreiber.

Drei Standorte mit unterschiedlichen klimatischen Bedingungen wurden für die Pflanzung der Sammlungen bestimmt: Grabs (SG), Conthey (VS) und Wädenswil (ZH). Die Parzellen werden durch die Sammlungsbetreuer bewirtschaftet, in Wädenswil nach biologischen Richtlinien durch das Team der ZHAW. In Grabs kümmert sich die Familie Vetsch nach konventionellen Richtlinien um die Sammlung (Abb. 1) und in Conthey wird die Sammlung von Agroscope in Zusammenarbeit mit dem Kanton Wallis nach konventionellen Regeln bewirtschaftet. Während die Pflanzungen der 358 Apfelsorten an den zwei Standorten Grabs und Wädenswil bereits in Frühling 2019 erfolgten, mussten die Pflanzen für ­Conthey eine Quarantäne bestehen und wurden erst im Frühjahr 2020 ­gepflanzt (Einstiegsbild). Jede Sammlung besteht aus 1074 Bäumen, ist eingeteilt in drei Blöcke und pro Block wurde ein Baum von ­jeder der 358 Sorten gepflanzt. Die Reihenfolge der Sorten innerhalb ­jedes Blocks ist zufällig.

 

Abb. 1: Früchte aus Grabs.

 

Beschreibung

Die Beschreibung einer grossen Zahl verschiedener Eigenschaften mithilfe modernster Technologien ermöglicht es, interessante Merkmale bezüglich Fruchtqualität sowie Resistenz und Toleranz gegenüber Krankheiten und Klimaveränderungen zu erfassen. Das BLW finanziert das Beschreibungsprojekt «Schweizer Apfel-Kernsammlung» (Swiss Apple Core Collection – SACC), das bei der ­Professur «Molekulare Pflanzenzüchtung» der ETH Zürich angesiedelt ist. Hier werden modernste Methoden der Genomanalytik, Merkmalerhebung und Biostatistik kombiniert. In der ersten Projektphase liegt der Fokus auf der Bestimmung der Baum- und Fruchteigenschaften. Diese phänotypischen Merkmale werden an allen drei Standorten nach gleichem Massstab mit entsprechenden Apfeldeskriptoren erhoben, die in bereits laufenden Projekten auf nationaler und internationaler Ebene angewendet werden. In der zweiten Phase wird eine Bestimmung von Resistenzen oder ­Toleranzen gegenüber Apfelkrankheiten und Schädlingen gemacht. Im letzten Jahr des Projekts werden hochauflösende Erbprofile von allen Sorten der Apfel-Kernsammlung erstellt. Diese werden es ­ermöglichen, molekulare Marker zu finden, die mit gewünschten züchtungsrelevanten Eigenschaften gemeinsam vererbt werden. Diese Marker sollen so rasch als möglich für markergestützte Züchtungsprogramme verfügbar sein und die Effizienz der Selektion in der Apfelzüchtung steigern.

Datenerhebung

Folgende Merkmale werden durch regelmässige Besuche der ­Anlagen vom Team des SACC-Projekts erhoben: Stammdurch­messer, Blühbeginn und -intensität, Baumform und Wuchsstärke. Ab Mitte Juli werden Erntedatum, Ertrag, Deckfarbe, Berostung und Fruchteigenschaften erhoben. Die Merkmale bezüglich der Fruchteigenschaften werden mit automatisierten quantitativen Methoden erfasst. Die äusseren Eigenschaften der einzelnen Früchte werden mit einer sogenannten Phänobox erfasst. Diese wurde von der ETH Zürich und von Agroscope entwickelt, auf der Suche nach Möglichkeiten, effizient und schnell kleinere Fruchtmuster zu beschreiben. Jede Frucht wird in der Phänobox gewogen und von allen Seiten sowie von oben fotografiert (Abb. 2). Automatisierte Bildverarbeitung erlaubt die Erhebung von Breite, Höhe und Farb­verteilung der Früchte. Die Form der Früchte wird automatisch mit pomologischen Formdeskriptoren abgeglichen und klassifiziert. Die Phänobox wurde bereits für eine Masterarbeit in Zusammenarbeit mit der Universität von Wageningen (NL) eingesetzt. Die ­Maschine Pimprenelle (Setop Giraud Technologie, Cavaillon, F) kommt zum Einsatz, um die Festigkeit, den Zucker- und Säure­gehalt der Früchte zu messen.

 

Abb. 2: Beispiel einer Sortenbeschreibung mit der Phänobox, das die durchschnittlichen Fruchtdimensionen, Form und Farbverteilung darstellt.

 

Ausblick

Die Beschreibung der Schweizer Apfel-Kernsammlung bietet die Möglichkeit, in alten Apfelsorten vorhandene Eigenschaften neu zu entdecken, ihre Vererbung besser zu verstehen und diese in Züchtungsprogrammen einzubeziehen. Die Erhebung von möglichst ­vielen Merkmalen an den drei unterschiedlichen Standorten ­erlaubt, nicht nur genetische Einflüsse auf Baum- und Fruchteigenschaften zu ermitteln, sondern auch die Interaktionen zwischen Umwelt und Genetik besser zu verstehen. Dieses Verständnis führt zu einer ­Effizienzsteigerung in der Züchtung sowie einer Verbreiterung der genetischen Basis des Züchtungsmaterials für die Entwicklung von vielfältigen, robusten und lokal angepassten Sorten.

Dank

Die Sammlung und das Beschreibungsprojekt werden im ­Rahmen des Nationalen Aktionsplans zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der pflanzengenetischen Ressourcen für ­Ernährung und Landwirtschaft (NAP-PGREL) durch das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) finanziert.

 

Wir bedanken uns bei den Sammlungsbetreibern Jürg Boos (ZHAW), Familie Vetsch (Grabs) und Danilo Christen (Agroscope, Conthey), bei den Projektmitwirkenden Luzia ­Lussi, Marius Hodel, Norbert Kirchgessner, Roland Kölliker (ETH, Zürich) sowie bei Markus Kellerhals, Andrea Patocchi und ­Simone Bühlmann-Schütz (Agroscope, Wädenswil) für die Zusammenarbeit.


Literatur

Bühlmann A., Gassmann J., Ingenfeld A., Hunziker K., Kellerhals M. and Frey J.E., 2015: Molecular Characterization of the Swiss Fruit Genetic Resources. Erwerbsobstbau 57, 29–34.

 

Gassmann J. und Andreoli R., 2016: Schweizer Obstsortenvielfalt. Schweiz. Z. Obst- und Weinbau 152 (22), 8–11.

 

Kellerhals M., Schütz S., Baumgartner I.O, Andreoli R., Gassmann J., Bolliger N., Schärer H.J., Ludwig M., Steineman B., 2018: Broaden the genetic basis in apple breeding by using genetic resources. Proceedings of the 18th International Conference on Organic Fruit-Growing, FOEKO, Weinsberg, S. 12–18.

 

Kellerhals M., Lussi L., Käch D., Steinemann B., Boutry C., Friedli M., Bolliger N., 2021: Nutzung von Apfelgenressourcen für den biologischen Anbau (NAGBA). Schweiz. Z. Obst- und Weinbau 157 (03), 11–14.

 

Urrestarazu J., Kägi C., Bühlmann A. et al. 2019: Integration of expert knowledge in the definition of Swiss pear core collection. Sci Rep 9, 8934 (2019). https://doi.org/10.1038/s41598-019-44871-3.


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