Was steckt im Wein?

Seit Jahrtausenden kennt der Mensch die alkoholische Gärung. Doch was dahintersteckt, wurde erst in den letzten beiden Jahrhunderten hinlänglich verstanden. Andreas Kranz, Autor des Buches «Craft Wine selbst gemacht: Das grosse Buch der Fruchtweinbereitung», zeigt auf, was bei der Gärung passiert und wieso es für die Hefen sinnvoll ist, sich mit Alkohol zu vergiften.


Autor_Kranz Andreas
Andreas Kranz
Mikrobiologe
Diesen Artikel finden Sie in der Ausgabe 01 / 2022 , S. 15

In der wissenschaftlichen Nomenklatur wird die Bäckerhefe, die uns mit der alkoholischen Gärung erfreut und dafür sorgt, dass das Brot locker wird, als Saccharomyces cerevisiae bezeichnet. «Saccharomyces» kommt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich übersetzt «Zuckerpilz», «cerevisiae» ist lateinisch und bedeutet «vom Bier». Systematisch gehört sie zu den Ascomyceten (Schlauchpilzen) und zählt zusammen mit den Basidiomyceten (Ständerpilze: Champignon und Co.) zu den höheren Pilzen. Pilze sind weder Tier noch Pflanze und haben doch Eigenschaften von beiden. Wie die Pflanzen besitzen sie eine Zellwand, die sich in ihrem Aufbau von der pflanzlichen Zellwand deutlich unterscheidet. Wie die Tiere können sie keine Photosynthese betreiben, sie sind also nicht in der Lage, Sonnenlicht als Energiequelle zu nutzen. Aber ihre Zellen besitzen alle wesentlichen Bestandteile der tierischen und der pflanzlichen Zelle: einen echten Zellkern und verschiedene Organellen. Somit zählen Pilze, pflanzliche und tierische Zellen zu den sogenannten Eukaryoten, ihnen gegenüber stehen die einfacher gebauten Bakterien, auch Prokaryoten genannt. Die Prozesse innerhalb von Hefezellen ähneln denen der anderen eukaryotischen Zellen oft derart, dass sich die einfach zu kultivierende Bäckerhefe als Modellorganismus für sogenannte «höhere Zellen» etabliert hat. So gehen Erkenntnisse über die Funktion unserer Zellen letztlich auf die Forschung an Hefen zurück.

Mysterium Gärung    

Das Geheimnis der Gärung und der Hefe wurde vor nicht einmal zweihundert Jahren gelüftet. Obwohl die Menschheit seit Urzeiten mit Hefe Teig «zum Gehen» brachte und Bier und Wein herstellte, wusste man doch wenig über ihr wahres Wesen. So findet man zum Beispiel in mittelalterlichen Rezepten oft den Hinweis, dass der Wein besser gärt, wenn man zuvor Sauerteig in den Gärbehälter eingebracht hat. Der Grund: Sauerteig enthält Hefen, die so in den Wein gelangen konnten, wo sie die alkoholische Gärung in Gang brachten. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Begriff «fermentum» aus dem Lateinischen, der sowohl Sauerteig als auch Gärstoff oder Gärung bedeutet. Man wusste also aus Erfahrung, dass ein Zusammenhang bestehen musste zwischen dem, was zu einem lockeren Teig führt und der alkoholischen Gärung. Unwissentlich wurden Hefen überall dort kultiviert, vermehrt und gezüchtet, wo Bier, Brot und Wein hergestellt wurden. Die Hefen hafteten auf Oberflächen und wurden zum Beispiel über Holzwerkzeug verbreitet. Im skandinavischen Raum gingen die Bierbrauer noch einen Schritt weiter. Mit Hilfe hölzerner «Hefekränze» wurde Hefe gezielt in neue Bieransätze eingebracht, die dadurch mit hoher Wahrscheinlichkeit die Gärung in Gang setzte. Somit hat die Hefe, wenn auch über Jahrtausende als Lebewesen unerkannt, dem Winzer und Brauer bei der Arbeit geholfen.    

Trotzdem war eine gelungene Gärung immer auch eine Glückssache. Nach heutigen Standards wären die Weine der Antike und des Mittelalters wohl kaum geniessbar, sie enthielten vermutlich nur wenig Alkohol und waren sehr sauer. Die Römer beispielsweise kochten den Wein in Bleitöpfen ein, wobei sich süsse Bleiverbindungen im Wein lösten und den Geschmack des Weins verbesserten. Leider zogen sich die Herrschaften dabei eine schleichende Bleivergiftung zu. Die Unsitte, Weine mit Bleiverbindungen zu «verbessern», hielt sich bis ins 19. Jahrhundert. Dazu ein Zitat des Toxikologen Joseph Jakob Plenk (1785): «Boshafte, gewinnsüchtige Weinhändler pflegen unreif ausgepresste oder saure Weine mit zerriebenem Blei, mit Bleiglätte, Mennig, Bleiweiss und Bleizucker zu versüssen.» (Anmerkung: Gemeint sind Blei, verschiedene Formen von Bleioxiden, ein bleihaltiges Weisspigment sowie Blei(II)-acetat). «Wenn der lange in Gefässen, die aus Zinn und Blei bereitet worden, wie auch Most, Bier oder Apfelwein, die lange in bleiernen Geschirren aufbehalten worden, verursachen allgemeine Bleikoliken und oft Lähmung ganzer Familien und vieler Menschen.» 

Die Römer sind tot; sicherlich nicht nur wegen des bleihaltigen Weins, und da wir heute besseren und gesünderen Wein herstellen können, sollten wir das auch tun.

Gärung gleich Leben

Aber zurück zur Entdeckung der Hefe. Seit der Erfindung des Mikroskops durch Antoni van Leeuwenhoek (1632–1723) war bekannt, dass Hefe aus kleinen, runden Kügelchen besteht. Trotzdem war unklar, ob es sich bei diesen Kügelchen um Lebewesen handelt. Viele Forscher, darunter Grössen wie der Chemiker Justus von Liebig (1803–1873), vertraten die Ansicht, dass die Gärung ein rein chemischer Vorgang wäre. Louis Pasteur (1822–1895) konnte schliesslich um 1860 nachweisen, dass die Gärung durch lebende Organismen hervorgerufen wird, und dass die dafür nötigen Substanzen, die sogenannten Enzyme (griechisch «en zyma»: in der Hefe), mit der Hefe in Verbindung stehen.

Das Wesen der Hefepilze    

Hefepilze sind birnenförmige bis zylindrische Zellen, die einzeln oder in Sprossketten vereint vorkommen können (Abb. 1). Die Länge einer solchen Zelle beträgt knapp 10 µm, also rund 1/100 mm. Natürlich kommen sie unter anderem im Boden vor. Fruchtsäfte sind für sie ein ideales Nährmedium. Bekommt eine überreife Frucht den typisch «scharfen» Beigeschmack von Alkohol, so sind Hefen am Werk. Alle Kulturhefen wurden aus solchen Wildhefen über Jahrhunderte hinweg gezüchtet, zunächst unwissentlich, später wissentlich und zielgerichtet. Abkömmlinge der Wildhefen dienen so der Herstellung von Hefeteig, Bier und Wein, auch wenn sich die verwendeten Stämme in ihrem Anwendungsprofil unterscheiden. Soll der Teig gut aufgehen, ist eine rasche Produktion von Gas, präziser Kohlendioxid (CO2), gewünscht. Etwas Zucker im Teig ist hierfür notwendig, was jeder Bäcker weiss. Stämme für die Alkoholherstellung sollen eine hohe Toleranz gegen Alkohol und Schwefeldioxid aufweisen und den Geschmack des Getränks positiv beeinflussen.

 


 

Abb. 1: Die Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae im mikroskopischen Bild. (© Andreas Kranz)

 

Zwei wesentliche Eigenschaften des Hefestoffwechsels sind also die Bildung grosser Mengen Kohlendioxid und die Anreicherung von Alkohol oder präziser Ethanol im Medium. Die Summenformel der alkoholischen Gärung mit dem Zucker Glukose als Substrat lautet: C6H12O6 –> 2 C2H5OH + 2 CO   

Aus einem Molekül (Teilchen) Glukose entstehen zwei Moleküle Ethanol und zwei Moleküle Kohlendioxid. Das Kohlendioxid ist zunächst im Wasser gelöst und entweicht schliesslich in Form von Gasbläschen.

Alkohol im Übermass ist nicht nur für uns, sondern auch für Hefen toxisch. Tatsächlich kann bei der Gärung so viel Alkohol angereichert werden, dass die Hefen daran zugrunde gehen. Aber warum bilden die Zellen überhaupt ein derart potentes Zellgift?

Stoffwechselvorgänge

Zum besseren Verständnis ist es notwendig, sich näher mit den Stoffwechselvorgängen zu beschäftigen, die der Energiegewinnung dienen. Atmet die Zelle, so können die Vorgänge in drei wesentliche Abschnitte unterteilt werden (Abb. 2): Die Glykolyse, den Citratzyklus und die Atmungskette. Egal, ob Elefant, Mensch, Maus oder Hefe, diese Vorgänge sind in fast allen Lebewesen gleich. Die energiereiche Glukose, auch als Traubenzucker bekannt, ist der universelle Treibstoff der Zelle. Diese wird zunächst in der Glykolyse durch mehrere enzymatische Reaktionen gespalten. Bei der Glykolyse wird Wasserstoff freigesetzt. Für die Fachleute: Der Wasserstoff (H2) liegt nicht in freier Form vor, sondern wird an ein Coenzym gebunden. Anschliessend wird das Spaltprodukt der Glykolyse, das Pyruvat, in den Citratzyklus eingeschleust. Dort wird es zu Kohlendioxid abgebaut, wobei noch mehr Wasserstoff entsteht. Sowohl bei der Glykolyse als auch beim Citratzyklus wird ausserdem Energie frei, die die Zelle für den Zellerhalt und das Wachstum nutzt.

Die grösste Energiemenge wird jedoch in der Atmungskette frei. Was sicherlich viele noch aus dem Chemieunterricht wissen: Wasserstoff und Sauerstoff ergeben explosives Knallgas. Atmende Zellen lassen den bei der Glykolyse und im Citratzyklus freigewordenen Wasserstoff kontrolliert mit Sauerstoff reagieren und nutzen die dabei freiwerdende Energie.

 


 

Abb. 2: Stoffwechsel einer atmenden und einer gärenden Zelle im Vergleich.

 

 

Schleichende Vergiftung    

Fehlt Sauerstoff als Reaktionspartner für den Wasserstoff, so kann die energiebringende Atmungskette jedoch nicht mehr ablaufen und die Zelle schaltet um von der «Atmung» auf die «Gärung». Die Gärung dient dazu, den bei der Glykolyse freigesetzten Wasserstoff loszuwerden, damit das H2-bindende Coenzym frei wird und die Glykolyse weiter ablaufen kann. Dafür wird vom Pyruvat zunächst Kohlendioxid abgespalten, erst dann kann das Spaltprodukt den Wasserstoff aufnehmen, wobei Ethanol entsteht und freigesetzt wird.

Da die Atmungskette bei der Gärung ausfällt, ist der Energiegewinn im Vergleich zur Atmung nur sehr gering. Deshalb muss die Hefe bei Sauerstoffmangel viel mehr Glukose umsetzen, um den Energiemangel möglichst auszugleichen. Das ist verbunden mit der schnellen Bildung von grossen Mengen Ethanol und Kohlendioxid.

Auch wenn Ethanol toxisch für die Hefe ist und diese belastet, später womöglich sogar tötet: Bei Sauerstoffmangel hat die Hefe keine Alternative zur Gärung, sonst würde sie förmlich verhungern. Bemerkenswerterweise können Gärung und Atmung in Gegenwart von Sauerstoff sogar parallel ablaufen. Hierbei nimmt die Hefe den geringen Energiegewinn bei der Gärung und die Bildung des Gifts in Kauf. Einer Theorie zufolge profitiert die Hefe dabei von ihrer vergleichsweise hohen Alkoholtoleranz. Durch die systematische Vergiftung ihrer Umgebung hemmt die Hefe das Wachstum von Nahrungskonkurrenten wie Schimmelpilze und Bakterien nachhaltig und kann sich so in der Mikrobenpopulation einer gärenden Frucht oder in einem Wein- oder Bieransatz in Gegenwart potenzieller Schädlinge behaupten.

Nebenprodukte der Gärung

Ethanol ist das wichtigste Gärungsprodukt der Hefen, aber nicht das einzige. So sorgt zum Beispiel die Bildung kleiner Mengen Schwefelwasserstoff (H2S) für einen Geruch nach faulen Eiern bei der Gärung. Keine Sorge, dieser Geruch ist selten intensiv und ist meistens im fertigen Wein verschwunden. Ein weiteres Nebenprodukt ist Methanol, ein Alkohol mit nur einem Kohlenstoffatom (H3COH). Methanol ist giftiger als Ethanol und in kleinen, aber unbedenklichen Mengen immer in Weinen enthalten. Langkettige Alkohole entstehen ebenfalls und werden unter dem Begriff «Fuselöle» zusammengefasst. Diese sind auf der einen Seite für das Bukett des Weins mitverantwortlich, können aber den gefürchteten Kater-Kopfschmerz fördern. Die Bildung von Glycerin, einem dreiwertigen Alkohol, ist explizit erwünscht und wirkt sich positiv auf den Wein aus, denn Glycerin schmeckt süsslich und erhöht sowohl Dichte als auch Viskosität des Weins. Dadurch haftet er beim Trinken länger an den Schleimhäuten und ist somit mitverantwortlich für ein gutes Mundgefühl und die Nachhaltigkeit des Weingeschmacks im Abgang.

 

 

 

Titelbild © Hans-Peter Siffert/weinweltfoto.ch

Ausblick SZOW-Serie

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Ein Kommentar zu “Was steckt im Wein?

  1. Kommentar von Monica am 31. Januar 2022 um 06:22 Uhr

    Spannender Artikel.
    Spannender Artikel. Herzlichen Dank, Herr Kranz.

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